Discofucks – Die jüngeren Jahre der tänzerischen Intelligenzverweigerung (AT)

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Eine Lanze – gebrochen dem Tanze! Sind wir ehrlich und ein wenig religiös drauf, müssen wir konstatieren: Ähnlich den zwölf Aposteln, ohne deren preisendes Zutun Jesu muntere Botschaft vermutlich nicht einmal das Dorfausgangsschild Nazareths, nahe dem galiläischem Highway, erreicht hätte, verhält es sich mit dem Tanz und Discofox. Wer hier welche Rolle zugewiesen bekommen muss, wird im folgenden – hart an der Grenze zur Empirie – untersucht werden.

Etymologisch betrachtet ist der Discofox leicht zur Verwirrung heranzuziehen: Die lateinischen Präfixe dis und co(n) [dis: auseinander; co(n): zusammen] sagen im Grunde alles. Hierbei ist weniger das doch eher Aneinanderkleben der Tänzer, als vielmehr das Verhältnis der Tanzbereitschaft der Tänzer zu ansprechender Musik gemeint. Gemeinsam, vorzugsweise in Paaren wird zusammen, jedoch losgelöst von allgemein als gut wahrgenommener Musik, getanzt. Freilich finden sich immer wieder Neurotiker, die zu brauchbarem Liedgut discofoxen, doch dazu später.

Grob gesagt ist der Discofox die getanzte Entsprechung des Döner Kebab: Von allem was drin und weltweit – etwas variiert – populär. Allein: Discofox war global etwas schneller, was sich an der Rotationsgeschwindigkeit ersehen lässt, wiewohl auch dem Paarungsanbahnungsverhalten zuträglicher. Mischkonsum kann das mitunter relativieren, Studien hierüber wurden jedoch noch nicht ausreichend durchgeführt.

In der Hochzeit der Disco-Ära besannen sich Tänzer alsbald des klassischen Paartanzes, die zumeist flotteren angesagten Stücke der Zeit, um die 120bpm und aufwärts, machten schnell klar, dass mit den erreichten Zielen aus dem Walzerkurs jedoch nicht viel anzufangen war. Arschwackelelemente aus Boogie und Swing sowie Konsum verschiedener Bewusstseinstrübender oder -aufklarender, je nach Grundgemüt, Substanzen sowohl der Tänzer als auch der Voyeure mussten her und begründeten den Siegeszug des Gewirbels, was mitunter Kreuzwinden ausgesetzten Kugelblitzen gleichen kann.

Besagte 120bpm und aufwärts, klassische Basis der Discoära und alsbald auch weiterer elektronischer Tanzmusik, endeten gar nimmermehr und das Tanzvolk bekam seine noch heute andauernde Tanzstunde – die es stets zu schwänzen gilt. Im Neonlicht der Diskotheken der ausgehenden 70er sowie der 80er (seinerzeit zusehends plastikpalmenumrankt) Jahre des 20. Jahrhunderts, schritt der Siegesfox, Verzeihung: Siegeszug voran. Ein Knick in den 90ern mit seinen durch Erschwinglichwerdung von billigen Drogen-induzierten Solotänzen nicht beschreibbarer Prägung auf inoffiziell Euro Trash getauften Bumsbeats, ließ eine neue Generation der Discofoxer und -föxerinnen gedeihen. Die erste Generation wurde des Discofoxens jedoch nicht müde, doch alterte im patinabedeckten Glanz der ZDF-Hitparodierung des Schlagers hierzulande vor sich hin. Wenn Dieter Thomas Heck das Gesicht des temporären Untergangs des Discofox ist, konnte man anhand der Pickel im Antlitz Victor Worms bereits ahnen, wie oder zumindest dass es weitergehen würde.

Mit Einzug des Bumsbeats in den deutschen Schlager um die Jahrtausendwende lebte die zweite Generation wieder auf. Die bereits mehrfach genannten 120bpm gerieten eher aufwärts; natürlich nur rein tempisch gesehen. Dieser neue Schlager, vom One Hit-Gott des Genre „Schlagerpop“ getauft, ist es auch, der in der ersten Hälfte der 10er Jahre des dritten Jahrtausends das Discogefoxe maßgeblich bestimmt. Die Tage muten dennoch vorbei an, in denen im Grunde mit Gehfähigkeit Discofoxierung einhergeht. Schien noch vor einigen Jahren so etwa jeder vom nördlichsten Rügen bis zum südlichsten Sachsen, also wenigstens in den, partiell auch geistig, eher jungen Bundesländern, der schon oder noch mehr mit seinen Füßen anzustellen wußte, als sie in den Mund zu stecken paarweise tänzerischen Intellekt unauffällig unter den Tanzflur kehren zu können, so sind nach meinen persönlichen Untersuchen zumindest die Jahre der Adoleszenz auch hier Jahre der Rebellion.

Freilich ist diese Rebellion von fragilem Gemüt und niemand wird, zumindest noch nicht, zu Metallicas „Enter Sandmann“ (129 bpm) besagt Blitzfoxen. Doch eingangs angeführtes Aufbrechen des gemeinen Discofuchses in „musikalisch nicht Bodensatz“ zu nennende Gefilde scheint nicht mehr nur ein kurzes Aufflackern der Fackel zu sein. New Orders Blue Monday, Depesche Modes I Just Can’t Get Enough wurden bereits befoxt. Lichtbringer in die dunkle Ära könnte die Renaissance des Bumsbeats um die Jahrtausendwende gewesen sein, als einerseits Der Wendler DJs liebte, jedoch andererseits Kylie lalalaend minoguete, dass es eine Pracht war. Der Bumsbeat reformte den Schlager, in den Charts wurde der Weg für David Guetta-House geebnet. 125-128 sind die Beats von Jahrzehntmitte der 00er zu Jahrzehntmitte 10er Jahre pro Minute flott. Loveparodierung der Privatveranstaltung zumeist löste Brian Adams‘ Summer Of 69 (mit 139 bpm bei wenig Basstrommelbetonung für die meisten Discofoxer ohnehin unbrauchbar) als Peak des Abends ab. In die Reihe der das Discofoxfeuer am Brennen Haltenden gesellen sich in der jüngeren Zeit anhaltend musikalisch halbwegs integere Gesellinnen wie Gesellen, wenn auch vermutlich eher unfreiwillig. Paul Kalkbrenner, Lykke Li. Von der dunklen Seite der Disconacht bumste zuletzt Andreas Bourani fuchsig in die Disco. Der arme Mann ist zumindest am theoretischen Entstehen seiner musikalischen Beweisführung unschuldig, dass die Theorie der Schwarmintelligenz im Zusammenhang mit Fußball zumindest widerlegt zu sein scheint. Auf Uns ist wunderbar geeignet, das Hirn aus- und und Discofoxierung einzuschalten. Was mithin Coldplay in noch schlechterem Licht als ohnehin schon dastehen lässt, ist doch die Nähe von Auf Uns zu Viva La Vida inhaltlich wie musikalisch deutlich.

Im guten Sinne darf dann auch Viva La Vida das zwischenständliche Ende dieser Arbeit markieren. Denn so wie Coldplay zum Schlager derer geriet, die die Band noch immer für Indie Rock hält, darf man den Song durchaus als das Main Theme des Umdievierzigers Discofox verstehen. Und geht man von einer Lebenserwartung von 80-90 Jahren aus, muss man sich mittlerweile damit abfinden, dass der Discofox nicht wenige von uns noch bis ans Lebensende begleiten wird. Schreckliche Nachrichten – machen wir das beste draus.

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